Giacomo Puccini (1858 – 1924), Messa di Gloria
Giacomo Antonio Domenico Michele Secondo Maria Puccini ist gerade einmal 21 Jahre alt, als er die heute aufgeführte Messa di Gloria als Abschlussarbeit am Konservatorium seiner Heimatstadt Lucca (Toskana/Italien) vorlegt und das Werk am 12. Juli 1880 dort hochgelobt uraufgeführt wird. Sie gerät aber in Vergessenheit, bis sie 1950 von Dante del Fiorentino bei Arbeiten an einer Puccini-Biographie wieder entdeckt wird. Ihm verdankt sie den Namen „Messa di Gloria“, den er vermutlich wegen der im Vergleich zu anderen Messevertonungen ungewöhnlichen Länge des Gloria wählte und der ihren Charakter zugleich sehr präzise beschreibt: Die ganze Messe – ein „Monument zur Ehre Gottes“, wie ein Herausgeber des Werkes formuliert.
Puccini ist das fünfte Glied in der Generationenfolge hochverehrter Domorganisten seiner Heimatstadt, deren Vornamen er alle trägt. Sie waren immer zugleich Chordirektoren der Stadt und komponierten eifrig u.a. auch Opern. Wie hoch dieses Erbe eingestuft wurde, zeigt sich in der verbindlichen Zusage an den fünf(!)jährigen Giacomo beim frühen Tod des Vaters, nach Abschluss seiner Ausbildung dessen Stelle einnehmen zu können! Puccini wird auf diese Zusage nie wieder zurückkommen. Nachdem seine Mutter unter größten Anstrengungen die Fortsetzung seiner Ausbildung am Mailänder Konservatorium, dem Zentrum der damaligen Opernwelt, ermöglicht, lässt ihn die Opernwelt nicht mehr los.
Puccini hat seine Messa di Gloria in der neuen musikalischen Heimat nicht vergessen. Das „Kyrie“ verwendet er später im „Edgar“, das „Agnus“ erklingt in „Manon Lescaut“. Inzwischen aufgefundene Handschriften belegen, dass Puccini in späteren Jahren noch einmal begann, leichte Veränderungen in die Partitur einzuarbeiten; zu einer neuen Aufführung ist es aber wohl nicht gekommen.
Die Messe ist die erste umfangreiche Arbeit Puccinis; er knüpft darin an die solide musikalische Tradition seiner Familie an und verwendet zugleich die modernen Aus-drucksmittel seiner Zeit. Der vertraute Umgang mit festlicher Kirchenmusik und strengen Formen des Kontrapunkts verbindet er mit einem persönlichen musikalischen Stil und einer Erfindungsgabe für Melodien und Klänge, die schon seine außerordentliche Meisterschaft der späteren Opernmusik enthüllen. Das Werk erklingt heute in der 2004 von Ingo Schulz geschaffenen Fassung mit verkleinertem Orchester.
Kyrie: Die spätantiken Kaiser lassen sich mit Kyrie-eleison-Rufen begrüßen, um ihren angsteinflößenden Auftritt zu zelebrieren. Puccini schreibt die Freude in die Noten, Gott wird heiter und fröhlich, zugleich ehrfürchtig und getragen begrüßt, statt herr-scherlicher Wucht ehrfurchtsvolle Harmonie.
Gloria: Der vollständig durchkomponierte, also eigentlich nicht mehr auf eine Ver-wendung im Gottesdienst hin angelegte Teil dokumentiert Puccinis Meisterschaft der Textinterpretation und überschäumenden Ideenvielfalt. Zugleich nutzt er ganz in der Tradition der Messevertonungen das „Cum sancto spiritu“ zur Demonstration seiner Fugenkunst. Eigentlich möchte sie gar nicht enden; als es dann doch geschieht, erfolgt es in einem fast alle Grenzen sprengenden Amen.
Credo: Dieser Teil der Messe war schon zwei Jahre zuvor von Puccini komponiert und auch in Lucca aufgeführt worden. Die klare Strukturierung (Credo-Motiv) und die hoch differenzierte Aufgabenteilung und Melodienvielfalt der Teenager(!)-Komposition beeindrucken ungemein.
Sanctus und Agnus Dei: Nach den groß angelegten Gloria und Credo als Abschluss ein demütiges Sanctus und Agnus Dei. Manche haben die Bescheidenheit der bei-den Messeteile mit dem Zeitdruck des Studenten Puccini erklären wollen, noch rechtzeitig vor der Uraufführung alles abgeliefert zu haben. Oder doch eine weitere Genialität des Komponisten? Was vom großen Jubel angesichts der Herrlichkeit Gottes und des mutigen Bekennens des Glaubens bleibt, ist – stille – Hoffnung.
Dvořák, Antonín (1841 – 1904), Biblische Lieder
Auf den ersten Blick bilden Dvoraks eher karg anmutende Biblische Lieder einen deutlichen Kontrast zur großen Puccini-Messe. Ursprünglich nur für Tasteninstrument und Singstimme komponiert, später teilweise von ihm selbst auch für kleine Orchester instrumentiert, sucht Dvorak Lebenshilfe in innigen Gebeten. Darum der dem Katholiken Dvorak bei biblischen Texten eigentlich verbotene Gebrauch seiner Muttersprache, darum die Melodieführung ganz auf die Textinterpretation konzentriert. Darum im Konzert heute auch die Verwendung einer deutschen Übersetzung, die so nahe wie möglich am tschechischen Original bleibt. Die heute musizierte Version für Singstimme, Oboe und Streichorchester hat Christian Mondrup eingerichtet.
Auf das zweite Hören hin ergänzen sich Puccinis Messe und Dvoraks Lieder aber in wunderbarer Weise: Extreme Ökonomie der Töne bei Dvorak, bewusst Affekte eröffnende große Musik bei Puccini; persönliche Frömmigkeit bei Dvorak und selbstbewusst gelebtes Christentum bei Puccini. Im dezenten Schluss der Messe kommen sich die beiden Komponisten dann plötzlich ganz nahe.
Hartmut Greiling